Laudatio Timothy O. Nissen

Laudator Timothy O. Nissen …
… als Architekt und Stiftungsmitbegründer (Schweizerische Architekturmuseum in Basel) kennt er sich im Metier der Preisträger bestens aus. Sein eigenes Bestreben nach Vermittlung architektonischen Wirkens, das sich zur Aufgabe gemacht hat,  über das zu Erbauende hinaus, Gesellschaft und Öffentlichkeit zu gestalten, bewahrt sich in seiner Laudatio auf seine berühmten Kollegen nicht nur den gebotenen, sondern auch den kritischen Abstand in der Sache“.

„Das KABINETT – ein fast einmalig bunter, breit angelegter Hort wertvoller, anregender, fassettenreicher, verschiedenartiger DInge!“

 

Preisträger Jacques Herzog und Pierre de Meuron

Laudatio an die Stiftung KABINETT von Jacques Herzog und Pierre de Meuron

Das KABINETT, das Herz der Stiftung, ist fast einmalig bunt. Es ist ein breit angelegter Hort wertvoller, anregender, facettenreicher, verschiedenartiger Güter:
• allem voran die Dokumentation der bisherigen Arbeiten von Herzog & de Meuron, also seit der Gründung des Büros 1978. Sie umfasst Entwurfsskizzen, Arbeitsmodelle, Pläne aller Art, Photodokumentationen, einschlägige Texte
• dann die umfangreiche HdM Herzog & de Meuron Kunstsammlung – und schliesslich
• die Photosammlung Ruth und Peter Herzog mit Aufnahmen aus über 130 Jahren.

Die Ziele der Stiftung sind ebenfalls weitgespannt:
• sie gewährt Zugang zum Stiftungsgut für Kulturinstitutionen, besonders das Kunstmuseum Basel, aber auch für andere Basler Institutionen
• sie stellt Teile der Sammlungen als Leihgaben zur Verfügung
• sie öffnet ihre Räumlichkeiten als Labor für Lehre & Forschung
• sie pflegt den Austausch mit nationalen und internationalen Institutionen und unterstützt Kooperationen
• sie vermittelt das Werk von HdM Herzog & de Meuron und öffnet Perspektiven für interdisziplinäre Zusammenarbeit

Was zeichnet diese Stiftung besonders aus? Zunächst einmal, dass die Gründer das Bedürfnis verspürt haben, ihrer Stadt diese Trias Architektur, Kunst und Photographie zu öffnen. Und dann, unter vielem anderem, ihre Bereitschaft zur aktiven Vermittlung dieser Inhalte.

Aus der Fülle der Besonderheiten von HdM Herzog & de Meuron lassen sie mich – eine nennen:
Eine Eigenart – und auch eine Stärke des Büros: es hat keinen Stil – im formalen Sinn.

Sie gehen ihre Aufgaben unvoreingenommen an, nehmen nicht einen bestimmten Ausdruck oder eine besondere formale Lösung vorweg. Die bestimmenden Faktoren eines Projektes werden ohne Vorbehalte aufgesucht, aufgedeckt, analysiert und gestalterisch umgesetzt, seien es:
• die Geschichte des jeweiligen Ortes und die Eigenarten der Aufgabe
• das städtebauliche, das landschaftliche Umfeld
• die Entwicklungskräfte der betroffenen Region oder Stadt
• die gesellschaftliche Einordnung und Erwartungshaltung
• die rechtlichen, ökonomischen und zeitlichen Rahmenbedingungen

Und um nur eine weitere Besonderheit zu nennen:
Sie arbeiten sehr oft und intensiv mit Künstlern zusammen, – mit Betonung auf zusammen, nicht in dem oft anzutreffenden Verfahren: Erst der Bau, dann die Kunst.

Plakativ formuliert: Ihre Werke entstehen INSIDE OUT, nicht OUTSIDE IN.

Und weil aus dem Zusammenspiel, aus der Fusion aller dieser Faktoren fast notgedrungen Einmaliges entsteht, lässt sich ihre Lösung oft nicht in gesetzte Beurteilungssysteme einordnen. Somit ist einer bei der Begegnung mit einem neuen Werk von HdM Herzog & de Meuron – je nach seiner inneren Ausrichtung – erbost, enttäuscht, überrascht, befriedigt, bereichert, beglückt, begeistert, – aber kaum je gleichgültig.

Mit der Öffnung der Fotosammlung und der Kunstsammlung werden eine breite Dokumentationen der Welt der Photographie und der Bestände ihrer sehr persönlich geprägten Kunstsammlung zugänglich gemacht.

Mit der angestrebten Vermittlung ihres architektonischen Werks kommt aber eine Dimension hinzu. Man kann zwar die Begabungen von Herzog und de Meuron kaum weitergeben, aber man kann ihren Planungsprozess zugänglicher machen, ihren Willen und ihre Fähigkeit, verborgene Kräfte der jeweiligen Aufgabe aufzudecken und damit das Werk zu bereichern. Das scheint mir besonders bedeutsam: Dass dem Planungsprozess eben so grossen Raum gegeben wird, wie dem Produkt selbst.

Dieses Gedankengut, jede Aufgabe sozusagen ab ovo neu anzugehen, an junge Architekten, an Kollegen, an Architektur-Engagierte weiter zu vermitteln, ist sicher eine der noblen Aufgaben der Stiftung.

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